Die moderne Medizin hat bei der Behandlung von Herzkrankheiten große Fortschritte gemacht. Es gibt verbesserte und verfeinerte diagnostische sowie operative Methoden, es werden wirksamere Medikamente entwickelt und bessere Behandlungstechniken eingeführt.

Vernachlässigt von der Wissenschaft des Herzens (Kardiologie) werden jedoch die Patienten, die an sogenannten funktionelle n Herzbeschwerden leiden. „Organisch gesund“, lautet  die Diagnose, die Beschwerden (z.B. Herzstiche) hören aber dadurch nicht auf. Wie lang und hürdenreich der Weg zur richtigen Therapie sein kann, wird im Folgenden beschrieben an einem Fallbeispiel:

Hilde Pankras (Name geändert) klagte beim Hausarzt über plötzlich auftretende Herzstiche und Herzstolpern. Dieser sah keinen Grund zur Beunruhigung, da sich die Patientin fast ausschließlich vegetarisch ernährte, nicht rauchte, kein Übergewicht hatte und in der nahen Verwandtschaft auch keine Herzkrankheiten bekannt waren. Er meinte, dass eine organische Krankheit doch sehr unwahrscheinlich sei. Sicherheitshalber führte er ein Ruhe-Elektrokardiogramm durch, auf dem nichts Auffallendes festzustellen war. „Alles in Ordnung“, lautete sein Fazit und er verordnete der Patientin ein mildes Beruhigungsmittel. Dieses nahm sie nicht ein. „Ich spinne doch nicht. Ich weiß doch, dass ich am Herzen etwas gespürt habe.“

Funktionelle Herzbeschwerden – Der Gang zum Spezialisten war unvermeidbar

Schon am nächsten Morgen hatte sie einen Termin beim Kardiologen. Der Facharzt für Herzkrankheiten hörte sich ihre Beschwerden aufmerksam an. Er fragte gezielt nach, wollte genau wissen, welche Medikamente sie einnahm, ermittelte den Genussmittelgebrauch und forschte nach Herzkrankheiten in der Familie.

Routiniert und kompetent entwarf der Kardiologe ein diagnostische Programm: Blutentnahme, Echokardiografie (Herzultraschall), Belastungs- und Langzeit-EKG. Frau Pankras schien nun in den richtigen Händen zu sein. „Sie sind organisch praktisch gesund“, eröffnete ihr der Herzspezialist nach Auswertung der Befunde. „Ihre Fettwerte sind geradezu ideal. Das HDL-Cholesterin ist zwar für eine Frau Ihres Alters etwas niedrig, aber das liegt vermutlich an Bewegungsmangel. Blutzucker- und Harnsäurewerte als weitere Risikofaktoren für Arteriosklerose sind tadellos. Das Hämoglobin (der rote sauerstofftransportierende Blutfarbstoff) ist völlig im Normbereich, Elektrolyte (die Blutsalze Kalium, Kalzium, Natrium und Magnesium) könnten besser nicht sein. Ungleichgewichte dieser wichtigen Mineralien können durchaus zu Herzrhythmusstörungen beitragen.“

„Aber das sind doch nur die Laborwerte“, erwiderte die ungeduldige Patientin. „Was haben denn die wichtigen Herzuntersuchungen ergeben? Und was heißt „praktisch gesund“? Sie Haben also doch etwas gefunden?“ „Ja und nein“, antwortete der Spezialist. „Das Belastungs-EKG ergab eine für Ihr Alter und Gewicht leicht verminderte körperliche Leistungsfähigkeit.“

„Ich habe mich in den letzten Monaten wegen meiner Herzbeschwerden geschont. Das kann doch nicht gut sein, auch noch Sport zu treiben, wenn das Herz nicht in Ordnung ist, oder?“
„Im Belastungs-EKG zeigen sich einige Extra-Zacken.“ „Also habe ich doch Herzrhythmusstörungen. Sind diese Störungen denn gefährlich?“ Die Patientin war beruhigt und beunruhigt zugleich, weil etwas gefunden wurde.

„Das sind vereinzelte sogenannte Extrasystolen, zusätzliche Schläge, die völlig harmlos sind, die jeder Leistungssportler haben darf und bei Ihnen ganz vereinzelt auftreten. Sie haben diese Schläge vermutlich nicht bemerkt.“ Die Patientin nickte, aber andere „Extrasystolen“ spürte sie. „Ich bilde mir doch nichts ein“, dachte sie etwas frustriert (siehe auch www.1-herzrhythmusstoerungen.de).

„Ihre Herzrhythmusstörungen treten nur in Ruhe auf, nicht mehr unter Belastung. In Ruhe stottert der Motor wohl manchmal, unter Belastung läuft er jedoch wie eine Eins. Auch bei maximaler Belastung treten keine Rhythmusstörungen auf, es gibt keinerlei Hinweise auf eine belastungsbedingte Myokardischämie, also auf einen Sauerstoffmangel im Herzmuskel. Dasselbe zeigt sich auch im Langzeit-EKG.“

„Also bin ich gesund und bilde mir alles nur ein“, war der verbitterte Kommentar von Hilde Pankras.  „Nein, keineswegs. Die Rhythmusstörungen sind zweifellos vorhanden, sie sind nur Gott sei dank nicht gefährlich. Ich kann Ihnen keine Ursache dafür nennen, organisch sind Sie gesund“. „Und was soll ich nun dagegen tun?“ fragte die Patientin verzweifelt. „Die Herzrhythmusstörungen besitzen nur eine relative Behandlungsindikation, das heißt, man kann sie behandeln, muss es aber nicht. Sie sind nicht gefährlich. Da Sie aber offensichtlich einen starken Leidensdruck empfinden, werde ich Ihnen das gut wirksame und verträgliche Bonocard (Phantasiename) verschreiben.“ „Aber was ist denn die eigentliche Ursache meiner Beschwerden? Es kann doch nicht ausreichen, wenn ich die Symptome nur unterdrücke.“ Mit dem Ratschlag etwas gegen den Stress zu tun und Ausdauersport zu betreiben, wurde die Patientin entlassen.

Der Fachmann lehnte eine medizinische Therapie ab

Nachdem Frau Pankras das Bonocard in der Apotheke besorgt hatte, las sie sich den Beipackzettel intensiv durch. Bei der langen Liste an Nebenwirkungen schwand ihre Bereitschaft, das Mittel einzunehmen. An den beschriebenen Wirkungen und Nebenwirkungen erkannte sie auch – sie verfügte inzwischen über eine solide medizinische Halbbildung – dass es sich um nichts anderes als einen Beta-Blocker (siehe auch: www.1-medikamente.de/betablocker/) handelte. Damit werden nervöse Impulse vom zentralen Nervensystem und von Stresshormonen auf das Herz abgeblockt.

Der Spezialist, auf den sie all ihre Hoffnungen gesetzt hatte, verfügte doch noch über andere Untersuchungsmethoden wie eine Myokardszintigrafie oder eine Koronarangiografie. Bei der ersten Untersuchung spritzt der Arzt ein radioaktives Mittel, um evtl. vorhandene Durchblutungsstörungen der verschiedenen Herzregionen festzustellen. Bei der Koronarangiografie kann man nach Injektion eines Kontrastmittels mit Röntgenaufnahmen die Herzkranzgefäße darstellen, wobei vorhandene Engstellen entdeckt werden können. Der Spezialist hatte jedoch nur gelacht: „Liebe Frau Pankras, das ist zum Glück bei Ihnen nicht nötig. Diese Methoden sind sehr hilfreich, aber da sie nicht völlig ungefährlich sind, sollten sie nur dort zum Einsatz kommen, wo ein begründeter Verdacht besteht, dass der Patient gefährdet ist und eine organische Ursache gefunden wurde. Bei Ihnen liegen keine organischen, sondern funktionelle Herzbeschwerden vor. Das heißt nicht, ich betonte das bereits, dass Sie sich die Beschwerden einbilden. Aber sie hängen eng mit seelischen Prozessen zusammen. Wenn Sie den Beta-Blocker nicht einnehmen möchten, begeben Sie sich doch in psychotherapeutische Behandlung. Diese spezielle medizinische Untersuchung, die ich nicht verantworten kann, werde ich bei Ihnen nicht durchführen.“

Krankhafte Suche nach Ursache und Heilung

Da hatte Frau Pankras eine Idee. Als Privatpatientin bekam sie auch Therapien beim Heilpraktiker und beim privatärztlich tätigen Naturheilarzt zum großen Teil ersetzt. Klassische Homöopathie wurde ihr von dem Einen angeboten, Elektroakupunktur vom Nächsten, Bioresonanz vom Dritten. Von der Homöopathie war sie zunächst sehr angetan. Hier konnte sie sich aussprechen, alle ihre Beschwerden und Symptome wurden ernst genommen.

Nacheinander wurden verschiedene Mittel (in ihrem Fall Lachesis, Sepia und Natrium muriaticum) in Hochpotenz eingesetzt. Zwischendurch glaube sie auch Verbesserungen zu spüren, danach setzten die Beschwerden aber wieder unvermindert ein.

Der Elektroakupunkteur fand energetische Hinweise auf durchgemachte Infektionen mit Epstein Barr-Virus (dieses kann auch das Herz irritieren), eine Amalgam-Belastung (die Plomben hatte sie vor 10 Jahren ohne besondere Schutzmaßnahmen oder anschließende Ausleitung durch Gold ersetzen lassen) und einen eingeklemmten Weisheitszahn (Weisheitszähne sollen mit dem Herzen in Verbindung stehen). Nachdem der Weisheitszahn gezogen war, verschwanden schlagartig ihre Schulterbeschwerden, die sie immer wieder einmal geplagt hatten. Die Herzbeschwerden blieben jedoch unbeeinflusst.

Trugschluss: Viel hilft nicht unbedingt immer viel

Hilde Pankras selber konnte Verbesserungen oder Verschlechterungen kaum noch den einzelnen Therapien zuordnen, da sie auch noch Bioresonanz, Akupunktur und viele weitere Verfahren teilweise nacheinander, teilweise auch parallel nebeneinander durchführen ließ. Die meisten Therapeuten wussten dabei nicht, dass gleichzeitig noch andere Therapien stattfanden.

Sowohl ihre Arbeit als auch ihre privaten Beziehungen litten zunehmend unter der immer krampfhafter werdenden Suche nach Ursachen und Heilung ihrer Herzbeschwerden. Immer wieder aufgesuchte Allgemeinmediziner und Kardiologen konnten ihr bis auf die bekannte Diagnose „funktionelle Herzbeschwerden“ und den entsprechenden Therapievorschlägen mit Beta-Blockern, Beruhigungsmitteln, Antidepressiva und der Empfehlung von Psychotherapie nichts Neues bieten.

Schließlich fand sie in der 100 km entfernten Großstadt einen Professor in einem Herzzentrum, der entgegen allen bisherigen Empfehlungen doch eine Herzkatheter Untersuchung mit Darstellung der Kranzgefäße durchführte. Nachdem er den Film ausgewertet hatte, teilte er ihr freudig die gute Nachricht mit: „Alles in Ordnung. Sie sind organisch völlig gesund. Mit diesem Herzen werden Sie uralt.“ In diesem Fall hätte man sich die Kosten und Risiken wirklich schenken können.

Die Geschichte von Hilde Pankras ist zwar ein extremes, aber keineswegs untypisches Beispiel für eine Patientin, bei der sogenannte funktionelle Herzbeschwerden vorliegen. Durch die Krankengeschichte dieser Patienten zieht sich wie ein roter Faden, dass sie psychosomatische Aspekte übersehen und sogar ablehnen. Und das, obwohl viele betroffene Menschen in psychosozialen Berufen arbeiten und mit einer solchen Problematik durchaus vertraut sind. Nur eben nicht bei sich selbst.

Doch gerade diesen Patienten kann geholfen werden, wenn sie ihre Einstellungen und ihr Verhalten ändern. Nicht viel, sondern das Richtige zu tun, ist entscheidend. Dazu gehört vor allem die (selbst)kritische Frage nach den eigenen Bewältigungsstrategien. Aber auch, sich auf schmerzhafte Fragestellungen einzulassen. Der Patient mit funktionelle n Herzbeschwerden hat seine
funktionelle n Herzbeschwerden ja nicht entwickelt, weil er psychisch schwer krank oder ein böser Mensch ist. Die funktionelle n Herzbeschwerden geben ihm die Möglichkeit, mit Problemen auf eine bestimmte Weise umzugehen. Es ist ein Verdrängungsmechanismus: Wenn der Patient sich um seine Herzrhythmusstörungen oder um den nächsten Arzttermin kümmern muss, braucht er sich nicht mit seinen tiefer liegenden Problemen zu beschäftigen.

Der begonnene Weg wird erfolgreich fortgesetzt

Hilde Pankras wagte schließlich doch den Schritt in eine psychosomatische Klinik. Dort konnte sie sich nach anfänglichen Schwierigkeiten auf ihre eigentlichen Probleme einlassen. Es wurde deutlich, dass sie von früh auf gelernt hatte, Schwierigkeiten mit vermehrter Arbeit und erhöhten Leistungsansprüchen an sich selbst zu begegnen. Wenn sie Probleme in der Schule oder an der Universität hatte, biss sie die Zähne zusammen. Sie legte ein paar Sonderschichten ein, lernte den schwierigen Stoff meist allein, ohne fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Auf die Konfrontation mit psychosomatischen Aspekten oder den Vorschlag von Freunden oder Therapeuten, sich in psychosomatische Behandlung zu begeben, reagierte sie zunächst mit Abwehr, Verdrängung und Verleugnung. Sie fixierte sich immer mehr auf den Wunsch, organisch und nicht psychisch erkrankt zu sein. Diese Möglichkeit empfand sie weniger erträglich als eine mögliche schwere koronare Herzkrankheit, die mit einer Herzoperation verbunden gewesen wäre. Spätestens in diesem Stadium spricht der Experte von einer Herzneurose. Eigentlich besteht auch schon in frühen Stadien eine Neurose. Die Ärzte haben sich jedoch den etwas harmloseren Begriff „funktionelle Herzbeschwerden“ einfallen lassen, um eine Konfrontation mit den Patienten zu vermeiden. Manchmal wird auch die Formulierung „somatoforme Störung“ gewählt. Eine solche Konfrontation endet meist mit dem Abbruch der therapeutischen Beziehung. Überhaupt zeichnet sich der Neurotiker, auch der mit funktionelle n Herzbeschwerden, durch häufigen Arztwechsel aus. Er fühlt sich von dem einen Arzt nicht verstanden und geht zum nächsten, um nach einiger Zeit dieselbe Enttäuschung zu erleben.

Neben Widerständen führte dies zunächst dazu, dass sich ihre Beschwerden verschlimmerten. Sie konnte jedoch lernen, damit umzugehen. Durch regelmäßige Einnahme von Magnesium in hoher Dosierung hatte sie deutlich weniger Rhythmusstörungen. Wenn die Beschwerden doch einmal auftraten, half ihr ein homöopathisches Komplexmittel. Gleichzeitig begann sie ein körperliches Ausdauertraining mit Walking, später auch lockerem Jogging und Fahrrad fahren. Dabei verlor sie nach und nach ihre Ängste vor körperlicher Belastung. Nebenbei bemerkt: moderates körperliches Ausdauertraining hat auf das Herz-Kreislauf-System und das vegetative Nervensystem ähnliche Wirkungen wie eine Therapie mit Beta-Blockern, ohne mit deren Nebenwirkungen behaftet zu sein.

Zu Hause setzte sie die Psychotherapie fort. Stress in Beruf und Freizeit konnte sie auf für sie angenehmes Maß reduzieren. Der Erfolg spricht für sich: Die Rhythmusstörungen sind weitestgehend verschwunden. Wenn noch einmal ein Holperer oder ein Stich ins Herz auftritt, achtet Hilde Pankras nicht mehr darauf. Nach langem Leidensweg hat sie ihrer Krankheit letztlich viel zu verdanken.

Fazit

Wenn der Verdacht auf funktionelle Herzbeschwerden besteht, heißt das nicht, dass keine Diagnostik mehr durchgeführt werden sollte. Eine maßvolle, gezielte diagnostische Abklärung ist durchaus angebracht. Bedenklich wird es jedoch, wenn ein Übermaß an Diagnostik stattfindet, auf immer neue Untersuchungsmethoden gedrungen wird oder bereits unauffällige Untersuchungen ständig wiederholt werden. Der Arzt sollte den Patienten mit Verdacht auf funktionelle Herzbeschwerden sachte auf die Möglichkeit dieser Störung hindeuten und therapeutische Möglichkeiten aufzeigen, ohne ihn in die „Psycho-Ecke“ zu schieben.

Ganzheitliche Therapie heißt auch, körperliche und seelische Aspekte mit in die Behandlung einzubeziehen. Patienten, die eine ganzheitliche Betrachtung von ihren Ärzten mit Recht fordern, sollten bei sich selbst auch seelische Aspekte nicht von vornherein ablehnen. Moderate, schulmedizinische Diagnostik, naturheilkundliche Therapie (z.B. Magnesium, pflanzliche Heilmittel, Homöopathie, adäquate Bewegungstherapie) sind bei funktionelle n Herzbeschwerden angebracht. In jedem Fall sind psychovegetativ ausgleichende Maßnahmen sinnvoll (z.B. Melissenvollbäder, Entspannungsübungen, Meditationen). Das Lösen von Konflikten und Problemen (wenn das nicht möglich ist, das Ändern der Einstellung hierzu) ist meistens zwingend erforderlich. Ggf. kann eine ambulante oder stationäre Psychotherapie dazu notwendig sein. Funktionelle Herzbeschwerden sind eine manchmal sehr unangenehme, aber nicht gefährliche Erkrankung. Wenn der Patient mit funktionelle n Herzbeschwerden motiviert ist, an der Änderung seines Verhaltens und seiner Einstellungen mitzuarbeiten, ist die Prognose ausgesprochen gut.