Was ist eigentlich Serotonin?

Serotonin (5-Hydroxytryptamin, s. Abb. 1) ist ein Botenstoff u.a. des zentralen Nervensystems, des Darm-Nervensystems und des Herz-Kreislauf-Systems. Vom Namen her leitet es sich von Serum und Tonus ab, d.h. es ist ein Botenstoff im Serum, der den Druck der Gefäße beeinflusst. In der Lunge und den Nieren führt es zu einer Gefäßverengung, in der Skelettmuskulatur hingegen zu einer Gefäßerweiterung. Die große Bedeutung von Serotonin wird durch die Tatsache unterstrichen, dass beim Menschen allein 14 verschiedene Serotonin rezeptoren existieren, die in den unterschiedlichsten Organsystemen (z.B. Gehirn, Dünndarm, Gefäße, Lunge, Blutplättchen) für die Steuerung verschiedener physiologischer Funktionen verantwortlich sind. In der Evolutionsgeschichte ist Serotonin ein uralter, universeller Botenstoff, der sich schon bei den einfachsten Lebewesen findet.

Abb. 1: Serotoninmolekül – sehr einfach und phylogenetisch „uralt“

Serotonin wird aus der Aminosäure L-Tryptophan über die Zwischenstufe 5-Hydroxytryptophan gebildet (s. Abb. 2). Es wird vom Enzym MAO (hat nichts mit dem chinesischen Parteivorsitzenden zu tun, sondern bedeutet Monoaminoxygenase) weiter abgebaut. Hierauf beruht die Wirkung der so genannten MAO-Hemmer, die dieses Enzym in seiner Wirkung bremsen, dadurch zu höheren Serotonin spiegeln führen und in der Medizin als Antidepressiva eingesetzt werden. Weitere Medikamentengruppen wie die SSRI (Serotonin wiederaufnahmehemmer, s.u.) und die trizyklischen Antidepressiva beeinflussen ebenfalls den Serotonin stoffwechsel und wirken so antidepressiv. Da die Wirkung aber sehr unspezifisch ist und daher auch weitere Funktionen des Serotoninhaushaltes beeinflusst werden, kommt es häufig zu unerwünschten Nebenwirkungen. Sehr hohe Serotoninspiegel regen die Darmperistaltik an und führen zu Durchfall oder Erbrechen. Es gibt seit kurzem Medikamente, die den Serotonin stoffwechsel beeinflussen und bei Übelkeit und Erbrechen (Ondansetron) bzw. Reizdarm (Tegaserod) therapeutisch eingesetzt werden.

Nebenbei: Das Darm-Nervensystem produziert mehr Serotonin als das zentrale Nervensystem. Das „Bauchhirn“ scheint auf diesem Wege einen stärkeren Einfluss auf unser Gehirn respektive unsere Psyche zu nehmen als umgekehrt. Wegen der Gefäßbeeinflussung ist Serotonin an der Vermeidung von Migräne beteiligt. Daher werden Triptane, die an Serotonin -Rezeptoren andocken, in der Behandlung akuter Migräneanfälle eingesetzt.

 

Abb. 2: Synthese und Abbau von Serotonin

Haben Sie einen Serotonin mangel?

Wenn Sie folgende Fragen bejahen, dann liegt möglicherweise bei Ihnen ein Serotonin –Mangelsyndrom vor:

  1. Leiden Sie unter Schlafstörungen? Durchschlafstörungen sind hier bedeutsamer als Einschlafstörungen, bei denen häufiger ein Mangel an Melatonin besteht.
  2. Fühlen Sie sich manchmal niedergeschlagen und antriebslos, ohne dass ein besonderer Grund dafür besteht? Denken Sie manchmal, dass Sie depressiv sind?
  3. Haben Sie gelegentlich Heißhungerattacken? Treten diese besonders abends oder sogar nachts auf? Und besteht besonders ein Heißhunger nach Süßem?

Dies ist die klassische Trias des klinischen Serotonin mangels. Wenn zwei dieser Symptome bei Ihnen eindeutig vorliegen, ist ein solcher wahrscheinlich. Können Sie allen drei Fragekomplexen klar zustimmen, so ist er hingegen fast sicher.

Natürlich ist nicht jede Depression auf einen Serotoin mangel zurückzuführen. Ein Verlust des Arbeitsplatzes, eine Trennung vom Partner oder der Tod eines lieben Mitmenschen kann zu einer Depression führen, auch ohne dass ein Serotonin mangel vorliegt (besteht dieser jedoch zusätzlich, wird auch eine solche reaktive Depression aber noch verstärkt). Es gibt auch so genannte endogene Depressionen, von denen wir die genaue Ursache noch nicht kennen. Und neurotische Depressionen sind durch Serotonin fast nie beeinflussbar. Aber bei vielen leichten und mäßigen Depressionen kann man mit einer Regulierung des gestörten Serotonin stoffwechsels oft eine „Heilung“ innerhalb weniger Tage erreichen. Die „Heilung“ steht deshalb in Anführungszeichen, weil die Ursache des Serotonin mangels noch nicht beseitigt ist, die Krankheitssymptome liegen aber nicht mehr vor, auch ohne dass „schwere Medikamente“ eingesetzt werden müssen.

Nebenbei: Die meisten Antidepressiva setzen ebenfalls am Serotonin haushalt an. Serotonin ist ein Signalstoff des Nervensystems. Es wird in den synaptischen Spalt zwischen zwei Nerven ausgeschüttet. Dockt das Serotonin nun an einen Serotonin rezeptor des Empfänger-Nerven an, so wird in diesem ein elektrisches Signal weitergeleitet. Bei einer Depression sind die Konzentrationen von Serotonin im synaptischen Spalt zu niedrig, so dass weniger Signale entstehen mit der Folge von schlechter Stimmung und Schlafstörungen. Die so genannten SSRI (Serotoninwiederaufnahmehemmer) sind eine neue Klasse von Antidepressiva, die bewirken, dass das Serotonin nicht so leicht abgebaut werden kann und länger seine Signalfunktion ausüben kann. Auch die klassischen Antidepressiva, die so genannten trizyklischen Antidepressiva, und die MAO-Hemmer wirken auf das Serotonin ein. Leider machen alle diese Mittel dies sehr unspezifisch, so dass häufig Nebenwirkungen auftreten. Die wichtigsten Nebenwirkungen sind dabei Müdigkeit, Gewichtszunahme und Potenzstörungen. Dabei handelt es sich auch nicht um seltene, sondern um sehr häufige Nebenwirkungen von jeweils mehr als 10 %. Die wichtigste Nebenwirkung steht allerdings nicht im Beipackzettel: Das Serotonin wird zwar im synaptischen Spalt vermehrt, der Körperbestand nimmt dabei aber ab. Die Depression wird dabei also zwar unterdrückt (was in schweren Fällen oder gar bei Selbstmordneigung auch notwendig ist!), die Ursache der Depression wird aber nicht beseitigt, sondern u.U. sogar verstärkt.

Achtung: eine Nebenwirkung erwähnen die Beipackzettel noch gar nicht. In neuen Studien ist bekannt geworden, dass Antidepressiva – und hier die als besonders nebenwirkungsarm geltenden neuen SSRI – zu einem verstärkten Knochenabbau bei Frauen führen. Insbesondere bei Frauen in oder nach den Wechseljahren, bei Vorliegen von Risiken für Osteoporose oder gar bereits bekannter Osteoporose sollte also die Indikation für diese SSRI besonders streng gestellt werden.

Der menschliche Körper verfügt über viele Selbstheilungsmöglichkeiten. Der Heißhunger beim Serotonin mangel (auch der zunehmende Hunger unter Antidepressiva) ist nichts anderes als der frustrane Versuch einer Selbstheilung: Durch den Verzehr von Süßigkeiten kommt es zu einer starken Insulinausschüttung. Insulin fördert die Aufnahme der Aminosäure Tryptophan aus der Nahrung und den Übertritt von Tryptophan über die Blut-Hirn-Schranke in das zentrale Nervensystem. Tryptophan ist aber eine Vorstufe von Serotonin. Da die Menge an Tryptophan aber oft nicht ausreicht, um dem Mangel zu begegnen, kommt es nicht nur zu keiner Linderung der psychischen Symptome, sondern es kommt noch zusätzlich zu einem manchmal erheblich Übergewicht, was die Depression bei vielen Menschen auch nicht gerade positiv beeinflusst.

 

Weitere Anwendungsmöglichkeiten von Serotonin

Bei folgenden Krankheiten/Störungen wird eine mögliche Rolle von Serotonin mangel in der Entstehung diskutiert:

  • Reizdarm: Hier lohnt sich ein Therapieversuch, wenn weitere Symptome der Serotonin-Trias (s.o.) vorhanden sind.
  • Fibromyalgie: Auch hier lohnt sich ein Therapieversuch, wenn weitere Symptome der Serotonin-Trias (s.o.) vorhanden sind. Besonders effektiv ist die Kombination mit dem Muskel entspannenden Magnesium.
  • Migränevorbeugung: Hier ist die Wirkung spekulativ. Ein Therapieversuch kann aber lohnen, wenn eine Neigung zu Depression besteht oder wenn – gerade vor den Anfällen – eine Neigung zu Heißhunger besteht.
  • PMS: Das Symptom „Muskel- bzw. Unterleibskrämpfe“ des prämenstruellen Syndroms wird besser durch Magnesium beeinflusst. Spannungsgefühl in den Brüsten spricht besser auf den Mönchspfeffer (Agnus castus, z.B. Castufemin®, Agnolyt®) an. Bei einer deutlichen Appetitsteigerung, depressiver Reizbarkeit und/oder Schlafstörungen an den Tagen vor oder während der Periode sollte auch einmal an das Serotonin gedacht werden.
  • Angststörungen: Diese psychischen Erkrankungen gehen mit niedrigen Serotoninspiegeln einher und können durch Erhöhung der Serotoninspiegel günstig beeinflusst werden.
  • Chronischer Schmerz: Schmerzpatienten bekommen häufig SSRI oder trizyklische Antidepressiva, weil hierunter eine subjektive Besserung verspürt wird. Da auch Serotonin hierdurch beeinflusst wird, ist eine Beeinflussung des chronischen Schmerzes durch Serotoninvorstufen denkbar.

Wie kann der Serotonin spiegel erhöht werden?

Ganz einfach: Verlieben Sie sich! Es gibt keine bessere Maßnahme als sich (glücklich) zu verlieben, um den Serotonin spiegel in im wahrsten Sinne des Wortes Schwindel erregende Höhen ansteigen zu lassen. Serotonin wird daher auch als „Glückshormon“ bezeichnet. Serotonin verbessert auch die Sexualität (vermutlich ist das der Grund, warum die Natur Verliebten so viel Serotonin schenkt: Es dient einfach der Vermehrung!). Missbrauchen Sie Serotonin vorstufen aber nicht als Viagra®-Ersatz. Es wird die Sexualität wahrscheinlich nur dann verbessern, wenn vorher wirklich ein Serotonin – Mangel bestand. Wenn wir uns vor Augen halten, dass das „Bauchhirn“ die bedeutsamste Quelle für Serotonin darstellt, erhalten die volkstümlichen Weisheiten „Liebe geht durch den Magen“ und „Schmetterlinge im Bauch haben“ bei Verliebtsein eine ganz neue und sogar physiologisch nachvollziehbare Bedeutung.

Ein einfacher, alter Tipp der Erfahrungsheilkunde wirkt wohl ebenfalls über den Serotonin spiegel: Das abendliche Trinken eines Glases heißer Milch mit Honig hat in der Regel günstige Wirkungen auf den Schlaf – vermutlich wird das im Milcheiweiß enthaltene Tryptophan durch den Honig (Insulinfreisetzung) besser ins Hirn geschleust. Viele Menschen schlafen auch besser, wenn Sie zum Abendessen eher eiweißarm und kohlenhydratreich essen, was wohl auf demselben Mechanismus beruht. Diese Ernährungsmaßnahmen reichen aber wahrscheinlich nicht aus, um mittelschwere Depressionen, deutliche Schlafstörungen oder ein quälendes Reizdarmsyndrom deutlich zu beeinflussen.

Welche Diagnostik hilft weiter?

Vor einer Therapie bestimme ich gern den Serotonin spiegel im Blut, daneben aber auch die Vollblutspiegel von Vitamin B6 und Zink, da diese beiden Nährstoffe an der Serotonin synthese beteiligt sind. In der „Akuttherapie“ setze ich in den ersten Wochen der Behandlung gern 5-HTP (5-Hydroxytryptophan) ein, um für den Patienten rasche Erfolge zu erzielen, die bereits in den ersten beiden Wochen merklich einsetzen können. Gleichzeitig kommen bei einem nachgewiesenem Mangel Zink (z.B. Cefazink® 10, Zinkorot® 25) und/oder Vitamin B6 (z.B. Vitamin B6-Hevert®) zum Einsatz, um die körpereigene Synthese zu steigern. Sind diese Mangelzustände dann beseitigt, kommt man meist mit Vitamin B6 und Zink allein aus. Ist auch dieser Mangel langfristig beseitigt (ggf. mit Nachweis durch Laborkontrollen) können auch diese Nährstoffe langsam ausgeschlichen werden.

In Deutschland ist die Aminosäure L-Tryptophan zur Behandlung von Schlafstörungen oder leichten Depressionen zugelassen. Diese Aminosäure ist die Vor-Vor-Stufe von Serotonin und in den Präparaten Ardeydorm®, Ardeytropin® oder Kalma® enthalten. Hiervon müssen therapeutisch bis zu  2 g täglich eingenommen werden. Noch effizienter wirkt m.E. die direkte Vorstufe 5-HTP (5-Hydroxytryptophan, s. Abb. 2). Hiervon reichen i.d.R. 100-200 mg abends vor dem Schlafengehen aus. 5-HTP ist in Deutschland als Medikament nicht zugelassen, während Sie es in Amerika in jedem Supermarkt kaufen können (kein Witz!). Es kann auf Privatrezept von Apotheken aber legal aus dem Ausland importiert werden, wenn man einen Arzt kennt, der sich damit auskennt. Dieses ist sehr wichtig, da es Interaktionen zu anderen Medikamenten geben kann, die den Serotoninstoffwechsel beeinflussen. Die Kombination von Antidepressiva und L-Tryptophan oder 5-Hydroxytryptophan sollte – wenn überhaupt – nur von mit der pharmakologischen Therapie von psychischen Störungen sehr vertrauten Ärzten durchgeführt werden, da sonst die Gefahr eines Serotonin syndroms besteht (Nebenwirkungskomplex mit Unruhe, Agitiertheit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schwitzen, Zittern, Muskelkrämpfen, Bluthochdruck, Verwirrtheit – kann u.U. zum Tode führen). Bei Tryptophan oder 5-htp allein besteht diese Gefahr überhaupt nicht.

Fazit

In der Hand des damit erfahrenen Arztes können mitunter sehr unangenehme Erkrankungen wie Depression, Schlafstörungen, Übergewicht, Migräne, Reizdarm oder PMS mit natürlichen Maßnahmen (und dazu kann u.a. die Beeinflussung des Serotonin spiegels gehören) sehr rasch, zuverlässig und nebenwirkungsarm gelindert oder sogar beseitigt werden.

Warum haben wir eigentlich Angst vor zu vielen Vitaminen, aber nicht vor dem Mangel mit seinen gravierenden Folgen?

Bei meinen Patienten mit entsprechender Indikation messe ich regelmäßig den Vitamin D-Spiegel, gebe dann etwas, wenn der Spiegel zu gering ist, und kontrolliere nach drei Monaten. Ggf. muss dann die Dosis erhöht werden. Manchmal muss ich sogar 3000 oder 4000 Einheiten gegen, um den Mangel zu beheben. Nicht selten kommen die Patienten dann aufgeregt zu mir und berichten, ihr Arzt haben ihnen dringend vor der Einnahme von „Mega-Dosen“ des potentiell gefährlichen Vitamin D abgeraten. Wohlgemerkt: Die Patienten waren vorher in einem skandalösen Mangel. Die Werte waren von anderen Ärzten jedoch nie überprüft worden. Nach der Gabe hoher Dosen lag der Spiegel nachweisbar in einem optimalen Bereich – weit entfernt von einer Überdosierung. Trotzdem wird ignorant vor der Gabe der als optimal bewiesenen Dosis gewarnt.

Auf der anderen Seite gibt es Studien, die belegen, dass Bewohner von deutschen Altersheimen zu 100 % einen Vitamin D-Mangel haben. Noch einmal zum Mitschreiben: In deutschen Altersheimen gibt es praktisch keinen Insassen, der einen optimalen Vitamin D-Spiegel aufweist! Die Bezeichnung Insasse ist treffend, da für zu wenig Bewegung gesorgt wird und die Bewohner viel zu selten raus an die Sonne kommen – und wenn, dann in dichten, schwarzen Kleidern, die keinen Sonnenstrahl zur Haut durchlassen. Wenn jeder Bewohner dreimal pro Woche Fisch oder jeden Tag 1000 Einheiten Vitamin D bekäme, gäbe es mit Sicherheit weniger Oberschenkelhalsbrüche, Krebsfälle und andere Erkrankungen. Aber welcher Rentner wird schon auf Vitamin D untersucht? Stattdessen wird vor den  angeblichen Gefahren von Vitamin D gewarnt.

Viel Erfolg!